In Afrika verirrte sich ein Musiker in der Wildnis. Plötzlich sah er sich von hungrigen Löwen umzingelt. Verzweifelt nahm er seine Geige und begann klassische Musik zu spielen. Zu seiner grossen Überraschung legten sich die wilden Tiere hin und lauschten friedlich den schönen Klängen. Der Mann sah sich bereits gerettet, als sich ein alter Löwe näherte, über die liegenden Katzen sprang und ihn tötete. Zwei Affen auf einem Baum kommentierten das Geschehen mit den Worten: «Habe ich dir nicht gesagt, dass das nicht lange gut geht? Warte nur, bis der taube Löwe kommt».
Dass der Mensch immer wieder überrascht wird, indem er, oft naiv, mit dem «best case» rechnet, den «worst case» jedoch ausblendet und verdrängt, liegt in seiner Natur.
Die grossen tauben Löwen, die das VBS Budget bedrohen, kommen in der Form von AHV Lücken, einer Bankenrettung und der Wiederaufbauhilfe für die Ukraine daher. Humanitäre Hilfe, Sozialeinrichtungen, Wirtschaft und Armee gegeneinander auszuspielen schafft moralisches Unverständnis und gesellschaftliche Spannungen. Der Verteilungskampf ist in vollem Gange. Die Mittel sind knapp, wenn es darum geht, die Wirtschaft, die Gesellschaft und den angeschlagenen internationalen Ruf mit Schweizer Franken zu beruhigen. Und doch werden weiterhin Milliarden versprochen und ausgegeben, als gäbe es keine Ausgabenbremse. Der Ukraine zu helfen ist Ehrensache und appelliert an unsere Solidarität. Und doch, Land und Leute zu verteidigen ist der wichtigste Armeeauftrag (BV Art. 58).
Die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) erwartet vom Bundesrat, dass die Armee dringend und ohne Abstriche ihre finanziellen Mittel bekommt, um ihren Verteidigungsauftrag glaubhaft erfüllen zu können. Eine Verschiebung des Ein-Prozent BIP Budgetziels von 2030 auf 2035 kostet die Armee zehn Milliarden, welche nicht mehr aufzuholen sind. Soziale und militärische Sicherheit ist die Basis für unseren Wohlstand und unsere Freiheit.
Vision und Strategie VBS
Die Vision lautet «Die Schweiz lebt von ihrer Sicherheit. Und das VBS für die Sicherheit der Schweiz. Das VBS – Sicherheit für die Schweiz». Das VBS wurde als Verwaltungsrahmen für die Armee und den Bevölkerungsschutz geschaffen, der Nachrichtendienst und die armasuisse sind Teil davon. Braucht es eine zusätzliche Vision? Der Zivilschutz und die Polizei sind wesentliche Sicherheitsorganisationen in der Kompetenz der Kantone. Die Frage stellt sich, wie sich diese positionieren sollen, wenn das VBS in Zukunft eine so zentrale Rolle für die Sicherheit der Schweiz spielen will. Es bleibt zu hoffen, dass sich all diese strategischen Initiativen in konkretes Handeln umsetzen lassen. Aus sicherheitspolitischer Sicht wäre es zudem erstrebenswert, wenn das VBS nicht davon ablenkt, die anspruchsvollen konzeptionellen Arbeiten, die das Parlament dem Bundesrat mit der Motion Rechsteiner (Mo 23.3726) und dem Postulat Salzmann (Po 23.3000) in Auftrag gegeben hat, mit Hochdruck an die Hand zu nehmen.
Die SOG begrüsst die Schaffung eines Staatssekretariats für Sicherheit im VBS.
Sie geht davon aus, dass die Schaffung eines neuen Bundesamts stellen- und kostenneutral ausfällt. Das Verteidigungsbudget darf nicht durch weitere Abflüsse in die Verwaltung belastet und Beschaffungsvorhaben der Armee gefährdet werden. Das neue Staatssekretariat dürfte wichtige Aufgaben im Bereich der zivilen Sicherheit und internationalen Zusammenarbeit übernehmen. Der Armeeauftrag wird komplementär unterstützt. Zusammen mit der Armee, dem Bevölkerungsschutz und der Cybersicherheit wird das neue Bundesamt in eine umfassende Sicherheitsstruktur im VBS eingebunden.
Spannungsfeld Doktrin der Armee
Der Armee die Erarbeitung einer solchen Doktrin kommentarlos zu übertragen birgt das Risiko, dass ein generisches Produkt entsteht, in dem namentlich die Fragen der Bedrohung und der Kooperation mit dem Ausland ohne Bezug zur realen politischen Debatte abgehandelt werden. Angesichts des in der Ukraine real stattfindenden Krieges würde damit die Gelegenheit verpasst, die künftige Ausrichtung der Armee aus der virtuellen in die reale Welt heranzuführen, was hinsichtlich Relevanz, Fokussierung und Glaubwürdigkeit des Instruments Armee nicht nur wünschbar, sondern zwingend notwendig wäre. Eine Doktrin muss sich auf Eckwerte abstützen können. Auf politischer Stufe (Bundesrat in Konsultation mit den sicherheitspolitischen Kommissionen) sollten mitunter folgende Themen geklärt und berücksichtigt werden:
- Wird davon ausgegangen, dass ein Europa entsteht ohne derzeitige Sicherheitsstrukturen oder gibt es EU und Nato weiterhin? Wird eine Verteidigungskonzeption für die theoretisch denkbare oder die absehbar reale Welt erarbeitet? Wird von einem Europa ausgegangen, in dem alle heutigen kollektiven Sicherheitsstrukturen zerbrochen sind und die Schweiz wieder in chaotischem Umfeld einem Gegner allein gegenübersteht? Dann bliebe die Frage, warum wird derzeit so stark auf Kooperation mit der Nato fokussiert; die gäbe es dann wohl auch nicht mehr.
- Ist Verteidigung der militärische Akt, der aus der Aggression einen Krieg macht oder geht es um die Gesamtheit der Massnahmen, inklusive Vorbereitung der Streitkräfte und des Landes auf den Krieg, welche die Schweiz ergreifen muss, um militärisch erfolgreich verteidigen zu können? Wird von der Armee faktisch eine «Gesamtverteidigungskonzeption» erwartet?
- Bedeutet verteidigen, dass die Schweiz sich im Fall des Angriffs entschlossen wehrt, oder bedeutet sich verteidigen, dass erfolgreich gekämpft werden kann? Impliziert Verteidigung die Erwartung, nach Möglichkeit/so lange wie möglich allein kämpfen und auch verlorene Geländeteile zurückerobern zu können? Ist die Armee primär ein Stolperdraht, dessen Überschreitung eine Verteidigung in Kooperation mit Partnern auslöst, oder muss das ganze Spektrum an Fähigkeiten erhalten werden, vielleicht in geringem Umfang aber ausgewogen? Ist Kooperation primär das Mittel, zu dem die Schweiz bei sich abzeichnender militärischer Niederlage Zuflucht sucht?
Zum viel zitierten Elefanten im Raum gesellen sich nun die tauben Löwen. Die Wildnis schlägt zurück.
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