Ein hungriger Bär und ein frierender Wanderer begegneten sich. Sie gingen für Verhandlungen in die Höhle des Bären. Nach zwei Stunden verliess der Wanderer die Höhle mit einem warmen Pelzmantel – und der Bär war nicht mehr hungrig. Auch wenn wir uns wünschen, dass die meisten Verhandlungen mit einer Win-Win Lösung enden, die Anekdote besagt, dass die Realität oft eine andere ist.
Wo steht die Schweiz heute? Mit dem Rücken zur Wand in der Höhle?
Die internationalen Erwartungen nehmen von mehreren Seiten zu. Unterschiedliche ausländische Interessensvertreter und Lobbyisten rücken der Schweiz auf den Pelz und versuchen, mit grenzwertigen Manipulationsversuchen, ihr das Fell über den Kopf zu ziehen. Der politische, wirtschaftliche und moralische Druck nimmt zu und zwingt die Schweiz, einzulenken. Das hat früher auch schon funktioniert und es ist bloss eine Frage der Zeit, bis sie erneut einbricht. Eine Schweiz, die ständig in der Defensive ist, anstatt vorausschauend zu agieren.
Der Krieg an der Ostflanke Europas ist eine grosse, von Menschen verursachte humanitäre Katastrophe und eine Schande für eine aufgeklärte, friedliebende Gesellschaft, die das Chaos nicht verhindern konnte. Der Krieg zeigt vor allem, wie opportunistisch Nationalstaaten handeln, wenn es um die Wahrung nationaler Interessen, den Erhalt des eigenen Wohlstands und einer selbstgefälligen Machtpolitik geht. Solidarität ist in erster Linie ein kollektiver Selbstschutz. In der Ukraine wird ein souveräner Staat völkerrechtlich und in Selbstverteidigung verteidigt. Er verdient die loyale Unterstützung der anderen UN-Mitgliedsstaaten. Zu glauben, dass in der Ukraine unsere Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit verteidigt werden, ist ehrenwert, aber zum Teil Wunschdenken. Es ist auch die lähmende Unfähigkeit, mit einem Randalierer auf dem Schulhof umzugehen. Mit einem Tyrannen, der sich nicht an eine regelbasierte Sicherheitsordnung hält.
«La Suisse n’existe pas»; der Slogan der Weltausstellung 1992 in Sevilla war Gegenstand einer hitzigen und kontroversen Debatte. Ein Teil der stolzen Schweizer Bevölkerung fühlte sich beleidigt. Und wie sieht es heute aus? Verdienen wir das Swiss-Bashing? Nein, wir sollten stolz sein auf unsere Ecken und Kanten, auf unsere Beharrlichkeit und unseren Willen, das zu verteidigen, was wir über Generationen geschaffen haben. Statt unseren Neidern und Kritikern die Stirn zu bieten, demontieren wir uns Stück für Stück selbst. Die politischen Parteien ringen im Wahljahr mit ihrem Wertekompass und ergehen sich in Churchill/Chamberlain-Vergleichen. Man kann sich darauf einigen, sich nicht zu einigen. Auch das ist eine Einigung.
Die Schweiz existiert sehr wohl.
Sie lässt sich nur ungern in eine Zwangsjacke stecken. Es verhärtet die Fronten, wenn ausländische Partnerländer die Solidaritätskeule schwingen, um die Schweiz dazu zu bringen, russische Gelder zu konfiszieren und auf hartnäckige Forderungen nach Kriegsmaterial einzugehen. Mit dem Krieg in der Ukraine ist ein innenpolitisches Spannungsfeld zwischen Hilfe und Solidarität für die Ukraine einerseits und der Wahrung der Neutralität andererseits entstanden.
Um solche unangenehmen und heiklen Situationen in Zukunft zu vermeiden, wäre es sinnvoll, das Kriegsmaterialgesetz (KMG) dahingehend zu revidieren, dass die Nichtwiederausfuhrerklärung für Kriegsmaterialausfuhren weniger dogmatisch gehandhabt wird. Damit könnte die neutralitätsrechtliche Problematik entschärft werden. Dazu muss das Ende des Krieges in der Ukraine abgewartet werden, um nicht in Widerspruch zum Neutralitätsrecht zu geraten. Operative Dringlichkeit darf nicht auf dem Altar der Rechtsstaatlichkeit geopfert werden.
Worauf können wir stolz sein? Auf ein intaktes Neutralitätsverständnis, eine starke Armee, eine leistungsfähige Wirtschaft und die Unabhängigkeit im Verbund mit gleichgesinnten, rechtsstaatlichen Nationalstaaten. Dazu eine Fabel von Äsop. Der Wind und die Sonne stritten sich, wer von beiden der Stärkere sei. Sie einigten sich darauf, dass derjenige/diejenige den Sieg davontragen würde, der einen Wanderer dazu bringen könnte, seinen Mantel auszuziehen. Je stärker und eisiger der Wind wehte, desto fester hüllte sich der Wanderer in seinen Mantel, während die Sonne durch ihre Wärme den Wanderer schnell dazu brachte, seine Kleidung abzulegen. Nicht der Druck von aussen führt zum Erfolg, sondern die innere Überzeugung.
Solidaritätsdilemma vermeiden
Für den Wiederaufbau der Ukraine werden Hunderte von Milliarden benötigt. Die Schweiz leistet ihren Beitrag und zeigt, dass sie mehr machen kann, als sich an Waffen- und Munitionslieferungen zu beteiligen. Die SOG nimmt zähneknirschend zur Kenntnis, dass ein rascheres Wachstum des Verteidigungsbudgets der Schuldenbremse zum Opfer fallen könnte. Sollte bei der Finanzierung der humanitären Hilfe an die Ukraine eine kreative Umgehung der Kostenbremse in Betracht gezogen werden, stünde die SOG vor einem Solidaritätsdilemma. Die nationale Sicherheit und eine starke Rüstungsindustrie haben für die SOG hohe Priorität, um sich nicht in unnötige wirtschaftliche und verteidigungspolitische Abhängigkeiten zu begeben.
Laut der ETH Studie «Sicherheit 2023» kann sich mittlerweile eine knappe Mehrheit eine stärkere Annäherung an die Nato vorstellen. Dies dürfte vor allem einem verstärkten Sicherheitsbedürfnis unter der Bevölkerung entsprechen. Dies gilt es jedoch realistisch einzuordnen, um keine falsche Erwartungen im In- und Ausland zu wecken. Die Befürworter eines Beitritts bleiben mit 31% in der Minderheit. Eine möglichst autonome und selbstbewusste Schweiz ist in aller Interesse, was nicht mit einem Alleingang gleichgesetzt werden darf.
Zitat:
«If you want to make peace, you don’t talk to your friends. You talk to your enemies.»
Moshe Dayan
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