Unheilige Allianz gegen Nato-Übungen
Der Nationalrat hat am 13. Juni 2024 eine Motion von NR Jean-Luc Addor (SVP) und NR Fabian Molina (SP) klar angenommen. Die Allianz will die Möglichkeiten der Kooperation mit der Nato stark einschränken und der Armee per Gesetz verbieten, an Nato-Übungen laut Artikel 5 den Bündnisfall zu trainieren. Aus dem Wortlaut der Motion geht nicht hervor, welche Art von Nato-Übungen die Motion für die Schweiz verbieten will.
Abgesehen von Nato-Übungen beteiligt sich die Schweiz mit der Luftwaffe, mit anderen Teilen der Armee und im Cyberbereich seit Jahren an bilateralen oder multinationalen Übungen im Ausland. Der Wortlaut der Motion kann dahingehend gelesen werden, dass diese nicht gemeint sind. Selbst die Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität» hält fest: «Die Schweiz tritt keinem Militär- oder Verteidigungsbündnis bei. Vorbehalten ist eine Zusammenarbeit mit solchen Bündnissen für den Fall eines direkten militärischen Angriffs auf die Schweiz oder für den Fall von Handlungen zur Vorbereitung eines solchen Angriffs.» Dies würde bei Annahme der Motion nicht mehr möglich sein.
Nachfolgend eine Einordnung in die Thematik:
Artikel-5-Übungen und andere Verteidigungsübungen der Nato
- Die Nato unterscheidet zwischen Übungen zur Bündnisverteidigung («Collective Defence»), Aufstandsbekämpfung («Counter Insurgency») und Terrorismusbekämpfung («Counter Terrorism»). Von Interesse für die Schweiz die Übungen zur Bündnisverteidigung (unten: Verteidigungsübungen).
- Die meisten Verteidigungsübungen sind sogenannte Artikel-5-Übungen. Diese enthalten in einer eskalierenden Lage den politischen Entscheid des Nordatlantikrats, ob auf Antrag eines Alliierten die Beistandspflicht eintritt; oder sie beginnen in einem Szenario, in dem der Bündnisfall bereits eingetroffen ist.
- Die Beteiligung an solchen Übungen ist Mitgliedern der Nato vorbehalten, aber der Nordatlantikrat kann die Teilnahme von Partnerstaaten für einzelne Übungen oder Teile davon ermöglichen.
Sicherheitspolitische Interessen der Schweiz
- Die Schweiz hat bisher vereinzelt als Beobachterin an Verteidigungsübungen der Nato teilgenommen. Als Teilnehmerin könnte sie die Übung mitgestalten und eigene Anliegen einbringen.
- Als Teilnehmerin würde die Schweiz in jedem Fall ihre Rolle spielen, so wie sie diese aufgrund ihrer Neutralität definiert. Somit würde sie kein Nato-Mitglied spielen oder sich an der Bündnisverteidigung der z.B. an der Aussengrenze der Nato beteiligen. Aus der Übung würde keine Beistandspflicht für die Schweiz erwachsen.
- Bei einem direkten Angriff auf die Schweiz würden die Neutralitätspflichten hinfällig und die Schweiz könnte sich zusammen mit Partnern verteidigen. Die Art und Wiese dieser Zusammenarbeit würde die Schweiz bestimmen.
- Es liegt im Interesse der Schweiz, dass die Nato die reale Rolle der Schweiz in einem Konflikt konkret wahrnimmt, ihre Grenzen für die Zusammenarbeit kennt und Caveats (Vorbehalte) berücksichtigt.
Als Teilnehmerin an solchen Übungen könnte die Armee folgende Interessen verfolgen. Man könnte:
- die traditionelle Rolle der Schweiz als neutraler Staat in die Übung einbringen. Das gäbe die Möglichkeit, Neutralitätsklauseln anzuwenden.
- die Entscheidungsmechanismen der Nato besser verstehen.
- die Absprachen in einem Konfliktfall üben, um bspw. Zwischenfälle bei der Luftraumnutzung zu vermeiden.
- von den Erfahrungen, Prozessen und Fähigkeiten anderer Streitkräfte für die eigene Verteidigungsfähigkeit lernen.
- die Rolle der Schweiz üben, wenn das Szenario einen Angriff auf die Schweiz enthalten würde und ihre Neutralitätspflichten hinfällig wären. Die Schweiz würde aber bestimmen, ob ein solches Szenario trainiert wird.
Weitere Erwägungen und Rahmenbedingungen
- Eine gesetzliche Einschränkung der Teilnahme an internationalen Übungen würde die Möglichkeiten für die Schweiz, ihre Verteidigungsfähigkeit zu steigern, stark schmälern.
- Sie würde eine Abkehr signalisieren von der Absicht des Bundesrats, die sicherheitspolitische Kooperation zu verstärken und der Glaubwürdigkeit der Schweiz schaden. In einer angespannten und ungewissen Sicherheitslage in Europa wäre ein solches Zeichen bedenklich, zumal die Schweiz im Ernstfall auf die Solidarität ihrer Partner angewiesen wäre.
- Mit der Teilnahme an Art.-5-Übungen würden keine Verpflichtungen oder Sachzwänge eingegangen, die mit den Verpflichtungen eines Neutralen unvereinbar wären.
- Die Befürworter der Motion befürchten, eine Teilnahme an solchen Übungen würde als Beistandserklärung gedeutet. Dabei ist sowohl den Nato-Mitgliedern als auch ausserhalb der Nato völlig klar, dass die Schweiz kein Nato-Mitglied ist und sie damit weder eine Beistandspflicht hat noch diese selbst beanspruchen kann, wenn sie angegriffen wird. Der Art. 5 gilt nur für Alliierte.
- Der Bundesrat entscheidet abschliessend über die Teilnahme der Armee an internationalen Übungen. Dabei werden jeweils aussen- und sicherheitspolitische Erwägungen berücksichtigt, inkl. neutralitätspolitische Überlegungen.
Die Sicht der SOG
Die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) fordert, dass die Verteidigungsbereitschaft der Armee nicht durch politische motivierte Manöver eingeschränkt wird. Die Verteidigungsstrategie geht realistischerweise von Bedrohungen über grössere Distanzen aus, auch von ausserhalb der Schweizer Grenzen. Zusammenarbeit und Übungen mit Partnern sind deshalb unerlässlich. Die SOG erwartet, dass Neutralitätspolitik und Verteidigungsfähigkeit nicht gegeneinander ausgespielt werden und hofft, dass Ständerat und Parlament die Motion nicht unterstützt. Die SOG ist gegen einen Nato-Beitritt.
Dominik Knill, Oberst und Präsident SOG
17.06.2024
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