Wenn Optimisten vor dem 24. Februar 2022 noch gesagt hätten, dass wir in den sichersten Zeiten und mit dem höchsten Wohlstand leben, hätten viele, auch Pessimisten, zugestimmt.
Der Pessimist sah den Höhepunkt erreicht und erwartete einen zwangsläufigen Rückgang. Gut zwei Jahre später gibt ihm heute die bedrohliche Sicherheitslage womöglich Recht. Das Jahr 2023 war geprägt von Unsicherheiten, Ängsten und viel Ratlosigkeit. Wo zuvor Zuversicht, stoische Gelassenheit und eine gehörige Portion (Zweck)Optimismus die Sorgen und Ängste der Bevölkerung in die Schranken wiesen, bleibt das ungute Gefühl, sich auf Entbehrungen einstellen zu müssen. Geht es uns (noch) zu gut, als dass wir uns ernsthaft Gedanken über die zunehmenden Bedrohungen machen müssten? Das könnte sich rächen, wenn die rechtsbasierte Sicherheitsordnung, mit unserem Völker- bzw. Menschenrechtrecht, weniger durchsetzen kann. Die Werte des globalen Nordens verlieren immer mehr ihre Anziehungskraft. Die Macht des Rechts weicht zusehends dem Recht der Macht.
Nach dem ersten Aufschrei von freiheitlich-demokratischer Nationen, folgen immer weniger harte Konsequenzen, wenn die UN-Charta zunehmend verletzt wird. Macht- und Territorialansprüche in Venezuela, Aserbaidschan, Jemen und Äthiopien werden im Schatten des Ukrainekriegs an Fahrt gewinnen. Weitere Nachahmer Staaten folgen. Sind die Staaten im Nahen Osten bereit, sich militärisch durchzusetzen, wenn ihre Einflusssphären gewaltsam verschoben werden? Nicht sicher: Zu unterschiedlich sind die regionalen Eigeninteressen. Israel, wohl eine der stärksten Armeen im Nahen Osten, kämpft seit Monaten gegen eine bewaffnete nichtstaatliche Terrororganisation. Nur mit massivem Waffeneinsatz gelingt es, einen unterlegenen Gegner zu schwächen oder zu dezimieren. Klassische zwischenstaatliche Kriege und innerstaatliche bewaffnete Konflikte nehmen wieder zu. Der Einfluss rechtsstaatlicher und demokratischer Staaten, die sich dem Völkerrecht verpflichten, wird durch autoritäre und imperialistisch agierende Regierungen in die Schranken gewiesen. Das Dilemma zwischen Selbstschutz und kollektivem Schutz wird sich im Zuge der Ressourcenallokation verschärfen.
Der Krieg in der Ukraine zeigt auf brutale Weise, was es bedeutet, unsere westlich dominierte Weltordnung zu verteidigen und dafür die notwendigen Ressourcen konsequent bereitzustellen. Weder die USA und schon gar nicht die EU/Nato werden globale militärische Auseinandersetzungen umfänglich verhindern und ganzheitlich bekämpfen können. Zwei grosse Friedensmissionen in Afrika (Mali und Kinshasa-Kongo) wurden auf Ende 2023 eingestellt. Mit eskalierenden Kampfhandlungen im Nahen Osten und der ambivalenten Positionierung der Uno im Israel-Hamas Konflikt, kann aus heutiger Sicht nicht ausgeschlossen, dass die UNTSO, als eine der ältesten Uno-Friedensmissionen, ihre Legitimation verliert. Dies zeigt, wie schwierig es für die Weltgemeinschaft ist, sich einer konkurrenzierenden multi- bzw. bipolaren Weltordnung durch zu setzen.
Das Primat der Politik
Das Jahr 2024 wird uns vor Augen führen, dass Politik und Gesellschaft vor die Wahl zwischen mehr Sicherheit oder mehr sozialer Wohlfahrt gestellt werden. Beides können wir uns nicht leisten.
Das Militär ist dem Primat der Politik unterworfen. Dies sichert die demokratische Stabilität und verhindert Militärdiktaturen. Übernehmen Bundesrat und Parlament jedoch die Verantwortung, wenn die Armee ihren Auftrag nicht mehr erfüllen kann, weil ihr die finanziellen, materiellen und personellen Mittel? Mit einem «mea culpa» für Fehlentscheide, Unterlassungen und Versäumnisse können gravierende Fähigkeitslücken nicht kompensiert werden. Wenn das Parlament, wie in der Wintersession geschehen, sich nicht verpflichten kann, der Armee die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, ist dies nicht nur unverständlich, sondern schlicht unverantwortlich. Wir müssen hoffen, dass die Schweiz nicht das Ziel eines gegnerischen Angriffs wird. Aber: Hoffnung, ist keine Strategie! Die erneute Beschwörung, dass der Feind, wie noch die Rote Armee in der Armee 61, am Bodensee auftauchen wird, gilt es zu relativieren. Denn träte dieses Szenario ein, wäre die Nato vermutlich sehr geschwächt oder bereits Geschichte, unabhängig davon, ob wir dabei wären oder nicht. Die Schweizer Armee muss wieder gut alimentiert, schlagkräftig und modern ausgerüstet sein. Die bewaffnete Neutralität ist nur dann glaubwürdig, wenn sie auch militärisch durchsetzbar ist. Eine hohe Autonomie ist wünschenswert, eine internationale sicherheitspolitische Zusammenarbeit, ohne Nato-Beitritt, ist zu verstärken. Die Rahmenbedingungen für das Militär sind zu optimieren.
Ausgezeichnete Wahl an der Sepos-Spitze
Die SOG gratuliert Brigadier Dr. Markus Mäder zur Wahl als Staatssekretär und sichert ihm die volle Unterstützung der SOG zu. Als Höherer Stabsoffizier kennt er die Anliegen der Armee bestens, verfügt über grosse Erfahrung in der nationalen und internationalen Zusammenarbeit und Sicherheitspolitik. Er ist zudem ein profunder Kenner der militärischen Friedensförderung und als ehemaliger Verteidigungsattaché trittsicher auf dem diplomatischen Parkett. Eine ausgezeichnete Wahl, auch für die Armee. Mit Staatssekretär Mäder sollte nun Ruhe einkehren und das SEPOS an Kontur gewinnen.
ASMZ im 190. Jahrgang
Sie lesen die erste Ausgabe der ASMZ 2024, notabene im 190. Jahrgang. Seit über einem Jahr begleiten die SOG und die ASMZ-Kommission einen Kostensenkungsprozess. Mit einem Verlagswechsel konnten Einsparungen erzielt, das Adressmanagement für die Sektionen verbessert und die Leistungen der digitalen ASMZ optimiert werden. Weitere Qualitätsverbesserungen sind vorgesehen. Damit Sie auch in Zukunft eine qualitativ hochstehende Militärzeitschrift lesen können, kommen wir um eine moderate Erhöhung des Abonnementspreises nicht herum. An der DV der SOG vom 9. März könne die Delegierten über den Fortbestand der ASMZ abstimmen. Wir danken Ihnen für Ihre Loyalität und Solidarität.
Zitat
«Der erste Grundsatz der Natur besteht darin, nach Frieden zu streben und sich ihm zu widmen. Der zweite, das Grundrecht der Natur, sich mit allen zur Verfügung stehenden Kräften zu verteidigen».
Thomas Hobbes
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