Ein Mann war dafür bekannt, immer, an allen und über alles Kritik zu üben. Eines Tages beschlossen seine Freunde, ihm eine Lektion zu erteilen. Sie luden ihn zu einem Festmahl ein und bereiteten das beste Essen zu. Der Mann ass und ass, aber er sagte kein Wort. Schliesslich fragten ihn seine Freunde: “Nun, wie ist das Essen?” Der Mann antwortete: “Das Essen ist gut, aber die Portionen sind viel zu klein.”
Mir scheint, dass es in der heutigen Zeit kaum noch etwas gibt, worüber nicht Kritik geübt wird. Und wenn wir es nicht selber tun, können wir uns getrost auf das Ausland verlassen. Oder wie schon Immanuel Kant schrieb: „Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muss.“
Vielleicht liegt es aber auch in der Schweizer DNA, Veränderungen erst einmal negativ kritisch zu beurteilen. Getreu dem Motto: «Das haben wir noch nie so gemacht, das haben wir schon immer so gemacht, da könnte ja jeder kommen und, eine interessante Idee, aber der falsche Zeitpunkt.»
Kurt Tucholsky hat einmal gesagt: «Es gibt solche und solche. Und dann gibt es noch solche». Einige davon kennen wir: Die «Ja-aber»-Sager und die «Warum-nicht» Sagerinnen».
Ganz in seinem Sinn und wie es der Psychologe Felix Frei treffend beschrieben hat, tun «Ja-aber»-Sager so, als würden sie ein Anliegen unterstützen, um dann schnell darauf hin zu weisen, warum der zur Diskussion stehenden Vorschlag unrealistisch und nicht realisierbar sei. Damit präsentieren sie sich durchaus offen für neue Ideen und sind nicht à priori gegen Veränderungen, sorgen aber zugleich durch einen argumentativen Hindernisaufbau dafür, dass am Ende wenig oder nichts passiert. Wegen der Verunsicherung, ob das Neue überhaupt funktioniert, gehen sie auf Nummer sicher.
"Warum-nicht»-Sagerinnen suchen nicht in erster Linie nach Gründen, die gegen die Idee sprechen. Sie sind interessiert zu sehen, wie und ob das Vorhaben realisiert werden könnte. Sie gehen davon aus, dass Lösungen gefunden werden. Die Aussicht auf Erfolg motiviert sie, ein Risiko einzugehen. Sie wagen die ersten Schritte und sind sich dabei bewusst, dass ihr Entscheid korrigiert werden muss.
Einige Beispiele:
- Mit der Absichtserklärung der «European Sky Shield Initiative» (ESSI) vom 7. Juli 2023 ging eine Welle der Empörung durch das sicherheitspolitische Establishment. Die Nato-Kritiker warfen dem Bundesrat vor, die Neutralität auf dem Scheiterhaufen der Interoperabilität opfern zu wollen. Die Nato-Befürworter kritisierten das zu zögerliche Vorgehen und die peinlichen Neutralitätsvorbehalte. Wenn wir eingestehen, dass die Armee Land und Leute nicht mehr völlig autonom und unabhängig von Partnerorganisationen verteidigen können, sollten wir der internationalen Zusammenarbeit eine Chance geben – und uns nicht nur in Dialektik üben. Mit der Idee einer Vollmitgliedschaft im Militärbündnis stünden die «Warum-nicht»-Sager auf verlorenem Posten. Eine Mehrheit der Bevölkerung und die SOG lehnen diesen Schritt ab.
- Die Kritik am WEA Abschlussbericht und den ausgewiesenen Erfolgen war überwiegend negativ bis vernichtend. Wussten wir nicht von Anfang an, dass die Ziele sehr ambitioniert und mit grösseren Unsicherheiten behaftet waren? Hätten wir auf die «Ja-aber»-Sager gehört, wären wir nicht da, wo wir heute sind. Jetzt der Armee den «Schwarzen Peter» zuzuschieben, greift zu kurz und verkennt, dass das Parlament der Armee die dringend notwendigen finanziellen Mittel verweigert hat. Trotz Schwächen, Mängel und Lücken, die erkannt sind und hoffentlich zügig behoben werden, «funktioniert» die Armee um einiges besser, als dies es die Armeegegner wahrhaben wollen.
- Am 17. August 2023 präsentiert der Chef der Armee anlässlich der Ausstellung CONNECTED das Zielbild und die Strategie der Schweizer Armee der Zukunft. Bereits im Vorfeld zirkulieren kritische Kommentare, warum dieser Paradigmenwechsel, im Vergleich zu früheren Armeereformen, zum Scheitern verurteilt ist. Hier sind «Warum eigentlich nicht» Politiker und Armeeangehörige gefordert, der Vision genügend Vorschusslorbeeren zu geben.
- Leo-2 hin oder her. Kaum ein sicherheits- und rüstungspolitisches Thema erhitzt die Gemüter in der Bevölkerung so stark, wie die Panzerfragen. Kritik, ohne Übernahme von Verantwortung, führt zu polarisierenden Forderungen und wenig Konsens. Die SOG versucht die Meinung der Mehrheit ihrer Mitglieder zu vertreten. Sie ist sich bewusst, dass ein ausgewogener Kompromiss eine Gratwanderung darstellt. Wenn die personellen, finanziellen und materiellen Ressourcen fehlen, und sich herausstellt, dass die neue Verteidigungsstrategie respektive die Doktrin der Armee Korrekturen verlangen und sich die politischen Prioritäten verschieben, wird die SOG die neue Situation neu beurteilen.
- Hätte man auf alle Kritiker gehört, die die Zusammensetzung der Studienkommission für Sicherheitspolitik als unausgewogen bezeichneten, wäre die Kommission mit vierzig Mitgliedern ähnlich gross wie die damalige Kommission Brunner. Es ist verständlich und nachvollziehbar, dass möglichst viele Gesellschaften und Organisationen ihre Anliegen und Positionen in den sicherheitspolitischen Dialog einbringen wollen. Wer der Chefin VBS vorwirft, die Auswahlkriterien seien kurzsichtig und einseitig gewesen, stellt Partikularinteressen in den Vordergrund. Der Bericht verfolgt ein sicherheitspolitisches Ziel unter Berücksichtigung der armeepolitischen Bedürfnisse – mit einer schlanken Kommission.
- Schweizer Soldaten beten zu Beginn des islamischen Opferfestes. Die SOG wehrt sich gegen jede Diskriminierung und Ausgrenzung von Armeeangehörigen aufgrund ihres Glaubens. Eine politische Instrumentalisierung von religiösen Handlungen, die zu einer Stigmatisierung der Glaubensfreiheit führt, muss vermieden werden. Den Kritikern kann zugestanden werden, dass das Foto mit den zuschauenden Soldaten und vor der Standarte in unglücklicher Weise provoziert. Dies hätte vermieden werden können. Diskretion, Bescheidenheit und Rücksichtnahme könnte auch anders praktiziert werden.
In der Schweiz gibt es keine Meinungs- und Kommentarpflicht. Wer zum Krieg in der Ukraine, zur Migrationspolitik oder zum neuen Logo der Armee nichts zu sagen hat, wird nicht bestraft oder diskriminiert. Deshalb ist es vielleicht besser, nicht alles zu kommentieren.
Zitat:
«Jeder ist überzeugt, er könne Bücher kritisieren, nur weil er lesen und schreiben gelernt hat.» William Somerset Maugham
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