Was beschäftigt die Bevölkerung in der Schweiz? Wie ernst nimmt sie Bedrohungen und Veränderungen wahr? Wem kann und soll man noch glauben in einer Gesellschaft, die «overnewsed and underinformed» ist und sich vielleicht nicht mehr für unangenehme Themen interessiert? Die zunehmende Übersättigung mit Informationen führt zu einer wachsenden Verunsicherung. Ist Sicherheit ein subjektives Gefühl oder eine objektive Realität?
Oberst Dominik Knill, Präsident SOG
«Es geht immer auch anders»: Das Zitat im Titel stammt von Thomas Mann. Wahrnehmung und Wahrheit lassen sich nicht mehr klar voneinander trennen. Das ist, je nach Absicht, durchaus gewollt. Beeinflussungsoperationen schüren Polarisierungen und manipulieren unsere Erwartungen.
Ernsthaftigkeit I
Soziale Ängste um Wohlstandsverlust, Statuserhalt, Migrationssättigung, Gesundheitskosten oder Vorsorgeabbau verdrängen in unsicheren Zeiten das Thema «Sicherheit» im Sorgenbarometer auf die hinteren Ränge. Aber ist es nicht umgekehrt: Umfassende Sicherheit ist die Grundlage für Wohlstand und sozialen Frieden? Wenn dem so wäre, warum tun sich Politik und Gesellschaft dann so schwer, der Sicherheitsreserve Armee die dringend benötigten Mittel zu sprechen? Die geopolitische Bedrohungslage ist für die Bevölkerung oft zu wenig greifbar, zu weit weg und zu komplex. Der Wunsch, wirtschaftliche Dominanz könne militärische Stärke kompensieren, ist gescheitert. An die Stelle von Resilienz tritt zunehmend Resignation. Er verdeutlicht das Dilemma der Armee, wenn sie mutig aufzeigt, welche Bedrohungsszenarien für die Schweiz bestehen und mit welcher Strategie sie diesen begegnet, ohne dabei ins Lager der Schwarzmaler abzugleiten. Eine trügerische Gelassenheit nach dem Motto «es kommt schon gut, wie früher auch» verleitet zum bequemen Wegschauen. Der Faktor Zeit ist nicht unser Verbündeter bei der raschen Erlangung der Verteidigungsfähigkeit.
Ernsthaftigkeit II
Offensichtlich fehlt es den Milizorganisationen und den Befürwortenden einer starken Armee an Entschlossenheit und Glaubwürdigkeit, wenn es darum geht, möglichst viele Unterschriften für die Petition «Armee2030» zu sammeln. Sie verfolgt das Ziel von (mindestens) einem Prozent BIP bis 2030. Wenn aber nach acht Monaten gerade mal 15 000 Unterschriften zusammenkommen, kann an der Ernsthaftigkeit gezweifelt werden. Die Sammlung läuft noch[1]. In der kommenden Wintersession muss aber auch das Primat der Politik ihre Verantwortung wahrnehmen. Das Armeebudget 2025 muss dringend um über eine halbe Milliarde erhöht werden. Die Armeebotschaft 2024 braucht Planungs- und Finanzierungssicherheit mit einer Anhebung des Zahlungsrahmens um 4 Milliarden auf 29,8 Milliarden bis 2028. Die SOG fordert alle Armeebefürworter auf, unsere Armee mit Wort und Tat zu unterstützen. Dazu gehört auch: Sich informieren – Wissen weitergeben – Halb- und Unwahrheiten umgehend richtigstellen.
Ernsthaftigkeit III
Die SOG nimmt den Bericht «Diskriminierung und sexualisierte Gewalt in der Schweizer Armee» mit Besorgnis zur Kenntnis und verurteilt jegliches Fehlverhalten. Der Armee ist es ernst und sie zeigt Mut, Defizite transparent und in ihrer ganzen Tragweite aufzuzeigen. Sie nimmt damit ihre Verantwortung wahr, die physische und psychische Integrität ihrer Bürgerinnen und Bürger in Uniform vor Übergriffen zu schützen. Es ist wünschenswert, dass diese Aufarbeitung von anderen Organisationen ausserhalb der Armee ebenfalls ernsthaft aufgegriffen wird. Versäumnisse im Erziehungswesen und bei der Sozialisierung junger Menschen kann die Armee, als Abbild der Gesellschaft, höchstens teilweise nachholen. Sie verfügt über eine hierarchische Struktur, ein Disziplinarstrafwesen sowie klare Kommandostrukturen. Diese Instrumente bieten ihr die Möglichkeit, das Verhalten ihrer Angehörigen unmittelbar zu kontrollieren und zu beeinflussen. Der Leitsatz für das Vorgehen soll lauten: «Hinschauen – Ansprechen – Einordnen – Korrigieren (Ahnden)». Es ist von grundlegender Bedeutung, dass alle Angehörigen der Armee mit Respekt behandelt werden und die Gewissheit haben, in der Armee willkommen zu sein sowie als Individuum akzeptiert zu werden. Ein Kulturwandel kann nur angestrebt, nicht aber befohlen werden. Er erfordert die Bereitschaft jedes Einzelnen, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, einen respektvollen Umgang miteinander zu pflegen und das Bewusstsein für fehlerhaftes Verhalten zu schärfen. Kader aller Stufen müssen den Mut aufbringen, Verfehlungen in ihrem Verantwortungsbereich zu unterbinden. Ungeachtet der unrühmlichen und nicht repräsentativen Ergebnisse im kürzlich veröffentlichten Bericht[2] der Fachstelle «Frauen in der Armee und Diversität» ist festzuhalten, dass die Armee bereits früher Schritte zur Bekämpfung von Diskriminierung, Sexismus und sexualisierter Gewalt unternommen hat. Die SOG unterstützt die Umsetzung der eingeleiteten Schritte zur Reduktion und Beseitigung der festgestellten Missstände. Bei der Umsetzung der Massnahmen ist Augenmass gefragt. Kernaufgabe der Armee ist die rasche Herstellung der Verteidigungsbereitschaft.
«Eine sichere Methode, die Dinge schlimmer zu machen, als sie sind, ist zu behaupten, sie seien schlimmer, als sie sind.» (Lord Hailsham)
Das zu Ende gehende Jahr hat viele Menschen verunsichert und die Zuversicht getrübt, noch Schlimmeres abwenden zu können. Mehr denn je gilt es, die Hoffnung nicht aufzugeben, dass Gewalt in Krisen, Konflikten und Kriegen reduzieren werden kann. Herzlichen Dank für Ihren persönlichen Beitrag, den Sie für eine sichere Schweiz leisten. Für die bevorstehenden Festtage und das kommende Jahr wünsche ich Ihnen und Ihren Angehörigen alles Gute, Gelassenheit und die Zuversicht, dass es besser wird.
[1] NR Heinz Theiler (https://www.armee2030.ch)
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