«Krieg – das ist zuerst die Hoffnung, dass es einem besser geht, darauf die Erwartung, dass es dem anderen schlechter gehen wird, dann die Genugtuung, dass es dem anderen auch nicht besser geht, und danach die böse Überraschung, dass es beiden schlechter geht.»
Karl Kraus (1874-1936).
Nach einem Jahr Krieg in der Ukraine herrscht in Westeuropa Bestürzung und Ratlosigkeit. Er hinterlässt Elend, Zerstörung, unsägliches Leid auf beiden Seiten und eine traumatisierte Gesellschaft – über Generationen hinweg. Die Bevölkerung ist verunsichert und hat Angst. Der Krieg ist ein Chamäleon, sagt Clausewitz. Die meisten Kriege entwickeln eine Eigendynamik. Dies verleitet viele Sicherheits- und Militärexperten zu kühnen Aussagen und Prognosen – oft mit kurzer Halbwertszeit. Nur weil Expertise vorhanden ist, heisst das nicht, dass auch präzise und zutreffende Lageanalysen entstehen. Oft wissen wir es einfach nicht besser. Wir haben den enormen Widerstandswillen der Ukrainerinnen und Ukrainer unterschätzt, ihre Fähigkeit, dem übermächtigen Aggressor die Stirn zu bieten. Sie verdienen unseren höchsten Respekt. Wir wünschen den Ukrainern den Sieg, aber das allein macht ihn nicht wahrscheinlicher. Die Frage, wer den Krieg gewinnen kann oder muss, wird kontrovers diskutiert. Am Verhandlungstisch müssen kluge und besonnene Köpfe anwesend sein, die einen Verzichtfrieden einem Siegfrieden vorziehen. "Wir haben uns das alles ganz anders vorgestellt“, werden sie nach einem Verhandlungsfrieden sagen.
Die Eskalation schreitet weiter fort, und wer bremst sie? Die NATO war nicht in der Lage, diesen Krieg zu verhindern und sie wird ihn auch nicht beenden können. Sie spielt in diesem Krieg die Rolle einer hochtechnisierten, teuren, multinationalen Logistikorganisation, die für die Ukraine überlebenswichtig und für unsere westliche Sicherheitsordnung entscheidend ist. Ihre Beiträge steigen heute von mindestens zwei auf drei Prozent des BIP. Für die Schweiz unvorstellbar, ebenso wie ein Beitritt. Es muss frustrierend sein, am Spielfeldrand mit grösster Sorge zuzuschauen – ohne Schiedsrichter und mit ungleich grossen Fussballtoren. Und wo steht die Schweiz mit ihrer Verteidigungsarmee? Fankurve oder Ersatzbank kommen wegen der Neutralität nicht in Frage. Vielleicht als verkappte Sponsorin mit Interessenkonflikten. Gut so. Ganz und gar nicht gut läuft es dagegen bei den Budgetberatungen im Bundesrat. Nach der letzten Budgetrunde des Bundesrates von Mitte Februar ist klar: Ein Prozent BIP bis 2030 ist kaum mehr zu erreichen. Das Militär wird wieder einmal vertröstet – auf 2035. Die SOG lehnt die vorgeschlagenen Sparmassnahmen im VBS entschieden ab. Die Armee braucht die im letzten Jahr vom Parlament beschlossenen finanziellen Mittel dringend, um den ihr übertragenen Auftrag erfüllen zu können.
Auf eine Beschaffungsplanung, die auf ein höheres Verteidigungsbudget ausgelegt ist, folgt wieder eine Verzichtsplanung, weil die finanziellen Mittel nun wieder fehlen. Solche Schnellschüsse sind Gift für die Beschaffungsprozesse. Nicht nur, dass Beschaffungszeiträume von 7-12 Jahren ohnehin schon zu lang sind, es fehlt auch an Produktionskapazitäten in der Rüstungsindustrie. Gerade in Kriegszeiten sind die Lieferzeiten für Rüstungsgüter entsprechend lang und die Preise steigen stetig. Um dies zu verhindern, schlägt die SOG vor, dass für die fehlenden Beschaffungsbudgets der kommenden Jahre ein Überbrückungsfonds in Form einer Anleihe oder eines verzinslichen Darlehens aufgenommen wird, der in den Jahren, in denen das Militärbudget ein Prozent des BIP ausmacht, zurückgezahlt wird. Durch den Krieg in der Ukraine hat sich die Bedrohungslage verändert, Investitionen sind jetzt notwendig. Die Armee könnte also vorzeitig beschaffen und den Vorbezug Jahre später zurückzahlen.
Lehren aus dem Krieg?
Vielleicht die Frage, was unter dem Begriff Sicherheitspolitik zu verstehen ist. Es beginnt damit, dass die Schweiz alle paar Jahre in einem sicherheitspolitischen Bericht die Weltlage beschreibt. Daraus werden nationale Interessen formuliert, die kaum zusätzliches oder alternatives Handeln erfordern. Dann folgen in der Regel eine Aufzählung der sicherheitspolitischen Instrumente oder eine Beschreibung dessen, was der Bundesrat bereits beschlossen oder geplant hat. Sieht so vorausschauendes, antizipierendes, sicherheitspolitisches Handeln aus?
Wenn in der realen Welt etwas passiert, scheint es nur bedingt einen Bezug zur schweizerischen Sicherheitspolitik zu haben. Wie im Fall des russischen Angriffs auf die Ukraine wird darauf verwiesen, dass man schon gesagt habe, dass so etwas passieren könnte. Massnahmen oder gar Korrekturen folgen nicht oder verspätet. Nebst dem Gefühl, dass die reale Welt unsere eigene Sicherheit wenig tangiert, befassen sich Verwaltung und Parlament erst dann mit krisenhaften Entwicklungen, wenn deren direkte Auswirkungen auf die Schweiz von niemandem mehr geleugnet werden können (Covid-Epidemie). Mögliche Folgen einer Entwicklung zu antizipieren, birgt politische Risiken. Entscheidungen sind umstritten, solange bestimmte Kräfte oder Parteien lautstark eine andere Deutung des Problems einfordern und Nichtstun oft als bessere Lösung propagieren. Es geht weniger um präzise Prognosen als um die Bereitschaft zu handeln, auch wenn dabei politisch eingefahrene Wege verlassen werden müssen.
Der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) irritiert, zeigt er doch, wie der Bundesrat vom Ukraine-Krieg überrascht wurde und in verschiedenen Departementen ein verkrampfter Umgang mit der Armee herrscht. Die militärische Bedrohungslage gehört fest auf die Traktandenliste der sicherheitspolitischen Sitzungen, vertreten durch einen Armeevertreter. Mit dem MND verfügt die Armee über eine ausgewiesene Expertise und Fachkompetenz. Die Armee muss die Bürgerinnen und Bürger öffentlich vermehrt über die Ereignisse, Erkenntnisse und Konsequenzen aus dem Ukraine-Krieg informieren. Dadurch erhält sie wieder mehr Visibilität.
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